Welcher Mensch einer Katze kennt das nicht. Da steht sie mal wieder vor einer Wand und maunzt sie an. Oder zumindest starrt die Katze mit intensivem Interesse auf die weiße Wand. Selbst der geneigteste Mensch fragt sich dann allzu schnell: »Spinnt sie jetzt komplett?!« Dabei sollte ich die Frage doch eher lauten: »Was sieht sie, das ich nicht sehen kann?«
Wenn die Katze nach Revierwechsel eine weiße Wand anstarrt
Nie werde ich die erste Nacht mit der Luz vergessen. Never ever! Was ist sie damals in dieser Nacht nach ihrem Revierwechsel durch die Wohnung getigert. Maunzte herzzerreißend und klang dabei nur gequält. Von wegen Einzug ins Kitty Paradise – sie klang, als fühlte sie sich in der Hölle!
Schon damals stand sie dann auch vor der weißen Wand und starrte sie an. Allerdings starrte sie nicht nur und maunzte. Sie schrie diese Wand förmlich an. Was bei mir die Vorstellung auslöste, wie mein Nachbar hinter dieser Wand vor Schreck aus dem Bett fährt.
Gehört hatte der Nachbar von all dem Leid tatsächlich nichts – der Mann hat offenbar einen guten Schlaf. Aber für mich ist die Katze, die auf eine weiße Wand starrt, für immer mit dieser ersten Nacht und mit Leid verbunden.
Dabei muss das gar nicht so sein. Offenbar sieht eine Katze, die auf eine weiße Wand starrt, nicht dasselbe wie wir Menschen. Bleibt nur die Frage: Was zum Teufel sieht sie?
Was sieht eine Katze in der weißen Wand?
Zugegeben, das Bild oben ist gestellt. So oft starrt meine Katze gar nicht auf die einzige freie weiße Wand, die ich ihr bieten kann. Wir haben da halt ein bisschen mit dem Weidenball gespielt. Seit Neuestem hat sich dieser Bereich des Schlafzimmers nämlich zu einem Lieblingsplatz entwickelt. Und dann hat sich Luz netterweise so hingelegt, dass ihr Blick Richtung Wand fiel. Ein wenig Schattenspiel hat dabei auch nicht geschadet.
Aber tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass Luz auch ohne mein Zutun interessierte Blick auf diese Wand wirft.
Nun ist es offenbar so, dass Katzen nicht nur anders, sondern auch mehr sehen können als wir Menschen.
Das Anderssehen bezieht sich vor allem auf zwei Faktoren. Zum einen besitzen Katzen mehr von diesen Stäbchen auf der Netzhaut, die für das Unterscheiden von Hell und Dunkel zuständig sind. Zudem haben sie eine zusätzliche, reflektierende Schicht auf der Netzhaut. Die heißt so ähnlich wie Luzi, nämlich Tapetum lucidum, sprich: leuchtender Teppich.
Beides sorgt dafür, dass Katzen auch bei schlechten Lichtverhältnissen noch ziemlich gut sehen können. Der leuchtende Teppich ist aber auch der Grund dafür, dass wir Katzen gut im Dunkeln sehen können. Er wirkt nämlich wie ein Restlichtverstärker, der das bisschen Umgebungslicht reflektiert.
Katzen können aber auch mehr sehen als wir Menschen. Und das hat damit zu tun, dass Katzen offenbar ultraviolettes Licht sehen können. Das zumindest geht aus einer Studie aus dem Jahr 2014 hervor. Zwar haben Katzen gar keine Rezeptoren für diesen Bereich des Lichtes. Aber anders als bei uns Menschen lassen ihre Linsen diese Wellenlängen durch. Weshalb die Vermutung naheliegt, dass Katzen UV-Licht so sehen wie Menschen, deren Linsen entfernt wurden: als weißes, milchiges Blau-Violett.
Weiß = Rot und Grün und Blau
Für uns Menschen mit Linse gibt es kein sichtbares UV-Licht. Und auch sonst sehen wir nicht so gut wie Katzen. Dafür sehen wir aber mehr Farben.
Wahrscheinlich sehen Katzen die Welt in Grün-Blau. Gelb geht auch. Hinzu kommt dann wohl noch dieses milchige Blau-Violett. Nur Rot, damit will es irgendwie gar nicht klappen.
Wir hingegen (oder zumindest die meisten von uns) sehen Rot sehr gut. Grün und Blau auch. Sowie überhaupt alle Farben, die sich aus den Wellenlängen von Rot, Grün und Blau mischen lassen. Und kommen diese drei Wellenlängen zusammen, entsteht für uns Weiß.
Aber was entsteht für eine Katze, die auf eine weiße Wand starrt? Sieht sie diese überhaupt als Weiß? Denkt sie: »Na, die könnte aber auch mal wieder gestrichen werden…« Oder erkennt sie ein Farbspiel, das für uns gar nicht ersichtlich ist?
Was hört die Katze, die auf eine weiße Wand starrt?
Vielleicht ist es aber vielmehr so, dass es gar nicht um das geht, was sie sieht. Vielleicht geht es eher um das Hören und das Fühlen, also ihren extrem feinen Tastsinn. Und das wirft bei mir Fragen bezüglich dieser Wand auf.
Ich glaube nämlich, dass diese Wand zum Schlafzimmer meines Nachbarn gar nicht massiv ist. Dass unser beider Wohnungen vielmehr früher eine Wohnung waren. Und dass hier eine Verbindungstür verkleidet wurde.
Das jedenfalls würde bedeuten, dass es einen Hohlraum gibt. Wenn man die Wand abklopft, klingt es auch ein bisschen so. In dem Fall könnte sich also durchaus krabbelndes Leben in diesem Hohlraum befinden. Und das würde Luzi natürlich viel besser wahrnehmen als ich.
Zudem befindet sich direkt an dieser Wand ein alter, ungenutzter Kaminschacht. Auch der könnte natürlich Lebensraum für so manches Kleingetier sein, das ich nicht höre, die Luz aber schon.
Wenn Luzi also diese Wand anstarrt, vielleicht denkt sie dann also eher: »Lecker, lecker! Dahinter befindet sich was, das könnte ich mir mal gönnen!«
Oder aber sie denkt: »Na, wenn mein insektenphobisches Dosi wüsste, was da alles herumkrabbelt…«
So oder so bin ich ganz froh, dass sie mir davon nicht erzählen kann. Denn so ganz genau möchte ich das gar nicht wissen…