Bei aller Vorfreude auf den Einzug der neuen Mitbewohnerin: Keiner kann vorhersagen, wie eine Katze auf den Revierwechsel reagiert. Versteckt sie sich drei Tage lang und kommt bestenfalls nachts hervor? Erobert sie das neue Revier im Sturm? Bei meinem Angstkätzchen Luz war sicherlich nicht die Sturmeroberung zu erwarten. Ganz klar ging ich davon aus, von ihr erst einmal nicht viel zu sehen. Aber dann kam alles doch ganz anders als erwartet.
Vorbereitungen für den Revierwechsel
Der Tag des Umzugs war der 30.03.2018, Karfreitag. Weil es in meinem Leben für so ziemlich alles einen Plan gibt, gab es auch einen solchen für Luzis Revierwechsel:
- Luz sollte möglichst freiwillig in die Transportbox gehen.
- Entsprechend aller Ratschläge, von denen ich gehört und gelesen hatte, wollte ich ihr erst einmal nur einen Teil der Wohnung zur Verfügung stellen, also Küche, Flur und Bad.
Beides hat so nicht stattgefunden. So viel zum Thema Pläne.
In Sachen Transportbox musste jedenfalls mal wieder unsere Geheimwaffe ran, der Lebensgefährte von Romy. Der hatte bei Luz ohnehin keinen Ruf mehr zu verlieren. Auch nicht funktioniert hat, sie vorübergehend nur einen Teil des neuen Reviers erobern zu lassen. Die Höhle, die ich ihr in meiner Küche konstruiert habe, hat sie jedenfalls nie von innen gesehen.
Nun ist ihr neues Revier nicht allzu groß und die Versteckmöglichkeiten sind überschaubar. Noch nicht einmal unter dem Bett kann man sich hier verkriechen. Dennoch hat es Luz als erstes dorthin gezogen. So verbrachte sie die ersten Stunden irgendwo im Niemandsland zwischen Nachttisch und halb unter dem Bett. Um dann im Laufe des Abends ihren sicheren Hort in dieser Wohnung zu erobern: den Kuschelplatz auf meinen Wollpullis im offenen Kleiderschrank.
Die erste Nacht im neuen Revier
Andere Katzen hätten vielleicht die nächsten zwei Tage in dieser Kuschelhöhle verbracht. Wären vielleicht mal heimlich mitten in der Nacht herausgekommen, um sich vorsichtig umzuschauen. Zu meiner totalen Überraschung aber machte es noch am selben Abend plötzlich neben mir »Mau!« Und nicht nur das. Als wäre es das Normalste von der Welt, strich sie mir um die Beine, köpfelte und sprang schließlich zu mir aufs Sofa.
All is lost?
Gemeinsam haben wir dann noch den Film, der gerade lief (All is lost mit Robert Redford) zu Ende geschaut, um dann gemeinsam ins Bett zu gehen. Das fühlte sich unglaublich gut an – ungefähr für fünf Minuten.
Dann allerdings ist sie bis fünf Uhr morgens aufgeregt durch die Wohnung gelaufen. Und hat dabei Töne von sich zu geben, von denen ich nie vermutet hätte, dass eine Katze dazu in der Lage sein könnte. Am allerschlimmsten fand ich ihr Schreien und ihr gequältes, kehliges Maunzen. Die Krönung in dieser ersten Nacht aber war, wie sie mich weckte, wenn ich dann doch mal für fünf Minuten eingenickt war. Sie kam aufs Bett gesprungen, ihre Nase direkt vor meiner – und wenn ich die Augen aufgemacht hatte, schrie sie mir ins Gesicht.
Dieses geballte Leid in Kombination mit meiner eigenen Aufregung, nun also Mensch einer Katze zu sein, war mehr als ich glaubte ertragen zu können. So schlimm es mir im Nachhinein selbst vorkommt, aber nach dieser ersten Nacht dachte ich wirklich: All is lost…
Katzen verbinden Menschen
Während Luz nach dieser ersten Nacht wieder im Niemandsland zwischen Nachttisch und Bett (und für meinen Geschmack viel zu nah an einem Mehrfachstecker) komatös schlief, lief das Telefon zwischen ihrem ehemaligen Zuhause und mir heiß. Wie soll es weitergehen? Ist die Probezeit zu Ende, bevor sie überhaupt so richtig begonnen hat?
Einen nicht unwesentlichen Faktor gab es noch zu abzuklären: Wie viel hatte mein Nachbar von all dem Leid mitbekommen? Sein Schlafzimmer grenzt direkt an meins. Und unzählige Male hatte Luz in der Nacht eben diese Wand angeschrien. Ich hatte dem Nachbarn, mit dem ich bis dato gar nicht viel zu tun gehabt hatte, noch gar nichts von dem Einzug einer Katze in meine Wohnung erzählt. Also ging ich an dem Tag zu ihm, die nächtliche Störung zu entschuldigen. Zu meiner Überraschung fragte er mich aber nur: »Was für eine Störung?« Um mir dann zu erzählen, dass er selbst mal einen Kater in Pension gehabt hatte und um die Probleme weiß. Luz jedenfalls war zu einem verbindenden Thema geworden.
Die zweite Nacht nach dem Revierwechsel – und viele folgende
Nach unserer zweiten Nacht schrieb ich Romy eine SMS: »Oups, I did it again« Dabei stimmte es gar nicht. Ja, Luz hatte mich wieder die halbe Nacht wachgehalten. Doch gab es einen Strategiewechsel. Statt mir ins Gesicht zu schreien, gab sie mir Köpfchen. Mitten ins Gesicht. Voll auf die Zwölf. Das aber mit derart viel Charme, dass ich nur lachen musste.
Okay, irgendwann fand ich es dann auch nicht mehr lustig und irgendwann hat sie damit zum Glück auch aufgehört. Aber eine ganze Weile war das ihr probates Mittel, mich zu wecken. Auf alle Fälle war das besser als ihr Schreien, ihr Weinen, ihr gequältes Maunzen. Das war der ersten Nacht nach dem Revierwechsel vorbehalten.
Heute denke ich jedenfalls: Ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich ihr keine zweite Nacht, keine zweite Chance gegönnt hätte.