Noch bevor Luzi zu mir zog, wusste ich bereits aus eigener Anschauung, dass diese Katze Angst vorm Tierarzt hat. Also nicht nur so ein bisschen. Luzi hat wirklich panische Angst. Und die beginnt mit dem Transport in die Praxis. Denn Luzi hat auch panische Angst vor der Transportbox. Nachdem ich das einmal miterlebt hatte, wusste ich, dass ich alles tun würde, ihr den Stress zu ersparen. Ich wusste aber auch, dass das nicht immer möglich sein würde. Also haben wir mit dem Medical Training begonnen.
Luzis Angst vorm Tierarzt
Es gibt Bilder, die brennen sich im Hirn ein. So werde ich nie den Anblick von Luzi in dieser riesigen Transportbox vergessen. Eine Box, groß genug für gleich zwei ganze Katerkerle wie Joschi und seinen Buddy Cobi. Unsere kleine Luz nahm sich darin völlig verloren aus. Dennoch schaffte sie, diese riesige Box zum Beben zu bringen. So sehr zitterte sie dort drinnen. Und hechelte dabei um ihr Leben.
Das andere Bild zeigt sie in den Händen der Tierarzthelferin, die verzweifelt versuchte, Luz festzuhalten. Eine andere Tiermedizinische Fachangestellte bezeichnete das Folgende später als Verhalten einer »Schlange« – und traf damit den Nagel auf den Kopf. Blitzschnell schaffte Luz es damals, sich einmal um eigene die Achse zu drehen und ihre Befreiungsattacke gegen die sie haltende Frau zu setzen. Zum Glück war die auch schnell genug, wurde also nicht verletzt. Luz hingegen verletzte sich bei der anschließenden Jagd durch das Behandlungszimmer am Bein, sodass sie in den folgenden Tagen humpelte.
Und das alles für nichts! Eine Untersuchung war überhaupt nicht möglich. Dabei ging es hier nur um die übliche Allgemeinuntersuchung. Einmal abhören, einmal ins Mäulchen schauen, solche Sachen. Zu tendenziell wirklich unangenehmen Aspekten wie Blutabnahme war es noch gar nicht gekommen. Und sollte es auch nicht mehr kommen. Für diesen Tag hatte die Angst vor dem Tierarzt gewonnen.
Luzi blieb die Untersuchung letztlich nicht erspart. Ein neuer Termin musste her, diesmal mit Narkose. Ich war an dem Tag nur bei der Nachbesprechung dabei. Und das erste, was die Tierärztin damals zu uns sagte, lautete: »Na, Ihre Luzi ist aber mal wirklich eine Marke!«
Angst vorm Tierarzt lässt sich messen
Das erste Untersuchungsergebnis, das die Ärztin uns nannte, war der Parameter, mit dem sich Angst vorm Tierarzt tatsächlich messen lässt. Vergleichbares kenne ich noch aus meiner Zeit an der Uniklinik. Wir hatten in unserem Institut einst ein Projekt zur Psychophysiologie der Prüfungsangst. Da reichte es schon, wenn sich Medizinstudierende die Prüfungssituation nur vorstellten. Schon stiegen bei ihnen Parameter wie Blutdruck, Herzfrequenz und Muskelaktivität.
Luzis Angst vorm Tierarzt fand nun Ausdruck in der Höhe ihres Blutzuckers. Die Ärztin hatte zuerst vermutet, dass unser kleines und (damals) dickes Luz bereits einen Diabetes entwickelt hatte. Aber nein, der Kontrollwert belegte, dass dies nicht so war. Ihr vielfach erhöhter Blutzuckerwert war deshalb entstanden, weil der Körper im Zustand der Angst so viel Energie wie möglich zur Verfügung stellt, um für Kampf und Flucht bereit zu sein. Das nennt sich dann Stress-Hyperglykämie und kommt im Übrigen auch bei anderen Säugetieren vor, so auch bei Menschen.
Was tun gegen die Angst vorm Tierarzt?
Nun kann ich meinem Angsthasen die Begegnung mit dem Tierarzt nicht auf immer und ewig ersparen. Also beschaffte ich mir die passende Fachliteratur, die sich mit Medical Training beschäftigt. Dabei ist Medical Training Teil des Clickertrainings.
Medical Training kennt jede/r, die/der Zoo-TV-Serien wie Elefant, Tiger & co mag und beizeiten schaut. In Zoos wird mit so ziemlich jedem Tier, das sich auch nur ansatzweise kooperativ zeigt, Medical Training durchgeführt. Denn man kann die Tiere nicht immer wieder in Narkose legen, nur um mal Blut abzunehmen. Oder eine Wunde zu reinigen.
Zu Medical Training gehört auch Transportbox-Training
Ebenso gilt, dass auch Zootiere immer wieder mal möglichst freiwillig Transportboxen betreten müssen. Deshalb macht es Sinn, diese Übung voranzustellen. Also holte ich eines Tages die Box hinterm Vorhang hervor. Tatsächlich wollte ich nur endlich mal den Deckel festschrauben. Naiv dachte ich, Luzi könnte mir dabei zuschauen. Weshalb ich ein paar Leckerli um mich herum verteilte. Ihre Erfahrung sollte sein: Hier passiert wirklich gar nichts Schlimmes und es schmeckt auch noch gut.
Kaum jedoch hatte ich die Box hervorgeholt, war mein Luz verschwunden. Nix da, Leckerli. Luz hatte sich zum ersten Mal an dem wohl schlimmsten Ort versteckt, den meine Wohnung zu bieten hat. Der in dem Fall auch noch am weitesten von der Box entfernt war: hinter meinem Klo.
Da sich dann herausstellte, dass dies immer Luzis Reaktion ist, sobald sie die Box nur sieht, verschob ich das Transportbox-Training auf den Tag X.
Sitz, Bleib, Pfote und Anfassen
Für das Medical Training haben wir dann erst einmal mit der Sitz-Übung angefangen. Als die saß, ging es mit Bleib! weiter. Bleib heißt bei uns einfach nur geduldig sitzen bleiben. Schließlich braucht so ein Tierarzt ja durchaus einen Moment zum Abhören oder Abtasten. Gut 30 Sekunden hatten wir zu unseren besten Zeiten drauf. Das fand ich schon ziemlich gut.
Dann kam Pfote! dazu. Sei es zur Kontrolle der Krallen. Oder aber auch zum Anbringen eines Stauschlauchs beim Blutabnehmen. Doch so weit sind wir gar nicht gekommen. Denn irgendwann wurde mir bewusst, dass Luz so sehr mit dem Bleiben und Warten auf das Leckerli beschäftigt war, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anfassen lassen wollte. Also haben wir Anfassen! geübt, während sie saß und blieb. Erst ich mit ihr alleine. Dann kam Romy regelmäßig dazu. Doch das war Luz schon alles viel zu viel.
Dennoch mussten wir eine Sache noch trainieren. So dachte ich mir vor Luzis Zahn-OP: Wenn sie die Transportbox so hasst, dann probieren wir doch mal eine Transporttasche aus. Vier Wochen lang gab es jeden Tag Leckerli in der Tasche. Langsam besserte sich ihre Bereitschaft, nicht nur die Nase, sondern auch mal die Pfoten in diese Tasche zu stecken. Zum Schluss ging sie sogar freiwillig ganz hinein. Entspannt hat sie sich dabei jedoch nie. Definitiv hätten wir mehr Zeit gebraucht.
Aversive Reaktion beim Training
Als Luz sich die ersten Male direkt nach dem Training umdrehte und ihren Magen entleerte, schob ich es noch auf das Trockenfutter beziehungsweise Leckerli, das wir beim Training benutzt hatten. Doch als ich zig Futterarten durchhatte und dasselbe immer wieder passierte, wollte diese Erklärung nicht wirklich greifen. Eine Weile später erzählte ich meinem ehemaligen Chef, einem Psychoanalytiker, davon. Und der nannte das Ganze eine aversive Reaktion.
Aversion bedeutet Abneigung, aber auch Ekel. Es fiel mir sehr schwer, das als Grund zu akzeptieren. Luz schien immer so viel Freude daran zu haben, mit mir zusammen etwas zu machen, bei dem es für sie auch noch was Leckeres gibt. Nie hatte ich den Eindruck, ihr würde das Training, was wie ein Spiel daherkam, irgendwie missfallen. Allerdings war mir mittlerweile aufgefallen, dass spontanes Erbrechen ihre Standardreaktion auf jedwede Art von Aufregung ist. Egal, ob die negativ oder positiv ausfällt.
Später hat dann auch unsere Tierärztin die These gestützt und dazu geraten, das Training zumindest mal vorübergehend einzustellen. Was sie selbst auch traurig fand. Zumal sie meinte, Medical Training solle auf die Tagesordnung eines jeden Tieres stehen. Gerade auch eines Tieres mit Angst vorm Tierarzt.
Für Luz und mich bedeutete das Ganze leider, dass hier nicht mehr viel zu tun war. Medical Training soll Angst nehmen und nicht Abscheu erzeugen. Damit hatte es sich im Hause Luzi Bär Kretschmer leider weitgehend ausgeclickert.
Mit einer Katze war am Anfang auch so. Als sie junger war, waren wir bei vielen unterschiedlichen Tierärzten. Jetzt läuft es immer besser. Ich weiß nicht, ob das mit unserem aktuellen Tierarzt zu tun hat, oder ob sie sich einfach daran gewohnt hat, und verstanden hat, dass es doch nicht so schlimm ist.