Extreme Zahnschmerzen: Luzi ist eine FORL Katze

FORL. Vier Buchstaben, die auf den ersten Blick harmlos wirken. Als Akronym hingegen, also als Abkürzung, bei der sich Anfangsbuchstaben zu einem Wort zusammenfügen, steht FORL für nichts Gutes. Feline odontoklastische resorptive Läsionen bedeutet vor allem erst einmal Zahnschmerzen. Ausgesprochen heftige Zahnschmerzen. Und die auch noch über lange Zeiträume. Weil sie viel zu lange unentdeckt bleiben. Zu erfahren, dass Luzi eine FORL Katze ist, hat mir fast das Herz zerrissen.

Zahnschmerzen kennen sicherlich die meisten von uns. Auch ist weitgehend bekannt, dass kaputte Zähne zu Problemen im ganzen Körper führen können. Auf die Idee aber, dass hinter Luzis Verdauungs-Symptomatik (häufiges Erbrechen, Probleme mit dem Stuhlgang) vor allem unerträgliche Zahnschmerzen stecken könnten, wäre ich nie gekommen.

Zumal Luzi, kurz bevor sie ihr Revier bei mir bezog, an den Zähnen behandelt worden war. Da war von FORL überhaupt nicht die Rede gewesen. Auch hat keiner gesagt: Die Zähne müssen wir zukünftig immer im Blick behalten. Nichts dergleichen! Für mich war diese Thematik also erledigt. Von wegen!

Haben Sie schon mal was von FORL gehört? – Teil 1

Als ich mich dazu entschied, Luzi den schweren Gang zum Tierarzt in der Transportbox zu ersparen, und stattdessen den Tierarzt zum Hausbesuch einlud, habe ich mit allem gerechnet – ganz sicher aber nicht mit einer Zahndiagnose, von der ich noch nie etwas gehört hatte.

Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, genau das hat mich meine Tierärztin damals gefragt: »Haben Sie schon mal was von FORL gehört?« Als ich sie verständnislos anschaute, forderte Sie mich auf, mir das zu notieren und bei Interesse genauer zu recherchieren. Dann zeigte sie mir Luzis entzündetes Zahnfleisch. Hellrot leuchtete es an den Zahnhälsen ihrer Reißzähne. Und der eine Zahn daneben stand kurz davor abzubrechen. Dann erklärte sie mir, welche Tücke hinter dieser FORL-Erkrankung steckt.

Was bedeutet FORL?

FORL, erklärte sie mir, gehöre zu den Autoimmunerkrankungen. Mit anderen Worten: Da greift sich der Körper selbst an. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass Körperzellen die eigenen Zähne als Fremdkörper betrachten und entscheiden, sie vernichten zu müssen. Diese Körperzellen, die sogenannten Odontoklasten, dienen Katzenkindern zum Abbau der Milchzähne. Haben die Odontoklasten einmal diesen Job verrichtet, sollen sie eigentlich für den Rest des kätzischen Lebens in Rente gehen.

Bei einer FORL Katze wie Luzi werden diese Odontoklasten aus Gründen, die keiner so genau kennt, plötzlich reaktiviert und greifen die Zähne von der Wurzel ausgehend an. Das heißt: Wenn an Zahnhals und Krone ein vermeintlich kariöses Geschehen ersichtlich ist, haben diese Killerzellen die Wurzeln bereits weitgehend zerstört.

Bei einer Katze von Karies zu sprechen, ist jedenfalls von Grund auf falsch. Wie bei uns gibt es Zahnstein, Zahnbeläge und Parodontitis. Bei der Zerstörung des Gebisses wie durch FORL spielen bakterielle Prozesse wie bei Karies aber keine Rolle.

FORL Diagnose braucht Dentalröntgen

Per Definition lässt sich FORL nun aber nicht einfach durch die äußere Betrachtung diagnostizieren. Wie gesagt: Wenn sich die Erkrankung in Bereichen zeigt, die dem Auge zugänglich sind, hat sie im Kiefer bereits zugeschlagen. Es ist also ein tieferer Blick nötig, der zum Zeitpunkt des tierärztlichen Hausbesuches nicht möglich war. Damals konnte also nur von einer Verdachtsdiagnose die Rede sein.

Für die FORL Diagnose braucht es nämlich ein Dentalröntgengerät. Das steht natürlich nicht jeder Tierarztpraxis zur Verfügung. Der meiner mobilen Tierärztin hingegen schon. Und wenn die mir nun wie aus heiterem Himmel etwas von einer Erkrankung erzählt, für die sie gerade das passende Gerät hat… Nachtigall, ick hör dir trapsen! dachte ich und wollte alles erst einmal nicht wirklich wahrhaben.

Andererseits nagte der Gedanke an mir, dass mein Luz ja auf jeden Fall entzündetes Zahnfleisch im Bereich der Reißzähne hatte. Und diesen kaputten Zahn. Zuvor gesehen hatte ich das noch nie. Ich war mit ihr aber auch nicht in die Sphären des Medical Trainings vorgedrungen, wo es um das Öffnen des Mäulchens geht. Aber nun, da ich wusste, worauf ich achten musste, fiel es mir auf. Zum Beispiel, wenn sie gähnte. Also verbrachte ich die folgenden Tage mit ausführlicher Internetrecherche.

Das Netz ist voller Infos zum Thema FORL Katze

Die Krux mit dem Internet ist ja die: Nur wenn man weiß, wonach man suchen soll, findet man die passenden Infos. Soll heißen: Solange ich das Netz durchforstet habe nach Erklärungen, Hinweisen, Tipps in Sachen Erbrechen und ausbleibendem Stuhlgang, habe ich nicht einen einzigen Hinweis gefunden, dass das Ganze auch mit den Zähnen zusammenhänge könnte. Gibt man aber FORL als Suchbegriff ein, wird ein Schuh daraus. So weist gleich einer der ersten Artikel, auf die man stößt, auf das Erbrechen als Stress-Reaktion bei FORL Katzen hin. Nämlich der des sehr aktiv bloggenden Ulmer Tierarztes Rückert.

Diesen Zusammenhang hatte mir auch meine Tierärztin beim Hausbesuch schon genannt. »Könnte gut sein, dass sich damit auch die Verdauungsprobleme lösen«, hatte sie gesagt. Damit war sie bei mir auf ein Grundverständnis gestoßen. Immerhin habe ich lange Jahre meines Berufslebens für die Psychosomatik gearbeitet. Aber wenn man dann plötzlich selbst (beziehungsweise die eigene Katze) mit komplexen biopsychosozialen Zusammenhängen zu tun bekommt, hat das nochmal eine ganz andere Qualität.

Dass Luzi tatsächlich eine FORL Katze ist, habe ich zu dem Zeitpunkt aber schon nicht mehr in Frage gestellt. Einzig ging es in den folgenden Tagen nur noch darum, so viel wie möglich zu lesen und mich darauf einzustellen, dass das Ganze ein richtig teurer Spaß wird. Der sich – je nach Ergebnis des Dentalröntgens – auch auf zwei Termine erstrecken kann.

Luzis einziges Bild, das ihre Reißzähne zeigt...
Luzis einziges Bild, das ihre Reißzähne zeigt…

Haben Sie schon mal von FORL gehört? – Teil 2

Nachdem ich im Frühjahr 2019 schließlich den Termin für Luzi gemacht hatte, habe ich die mehr als vierwöchige Wartezeit für eine (definitiv nicht repräsentative) Umfrage genutzt. Wirklich jeden Katzenmenschen, den ich schon kannte oder wo und wie auch immer kennen gelernt habe, habe ich auf das Thema angesprochen. Darunter waren sowohl Neulinge im Katzengenre so wie ich, aber auch eine ganze Menge Leute, die schon langfristig mit Katzen zusammenleben.

Das Ergebnis meiner Umfrage ist niederschmetternd. Ich habe meine Erhebung nicht in Zahlen festgehalten. Gefühlt haben aber nur 0,25 von 10 Befragten jemals etwas von FORL gehört. Eine FORL Katze hatte laut ihrer Aussage keiner.

Das wiederum widerspricht total der überall zitierten Einschätzung, dass jede dritte bis vierte Katze jünger als fünf Jahre betroffen sei. Bei Katzen über fünf Jahre soll sogar jede Zweite unter FORL leiden.

Daraus leiten sich zwei Möglichkeiten ab: Entweder geht die Einschätzung von zu hohen Werten aus. Oder fast die Hälfte aller Katzen lebt mit extremen Zahnschmerzen.

Unwissenheit schützt nicht – Wissen aber offenbar auch nicht

Meine kleine Umfrage hat aber nicht nur ergeben, dass die meisten Katzenmenschen – so wie ich zuvor – total ahnungslos sind. Das zweite Ergebnis betrifft die Reaktion auf die Information, dass FORL so viele Katzen betrifft. Also potentiell auch die Katzen derjenigen, die durch mich nun von der Wahrscheinlichkeit erfahren haben, dass auch ihre Katze von dieser schrecklichen Zahnerkrankung betroffen sein könnte.

Katzen dieser Welt, euretwegen hätte ich gerne gehört, wie eure Menschen sich vornehmen, beim nächsten Termin euren Tierarzt darauf anzusprechen. Stattdessen habe ich die typische menschliche Reaktion auf unangenehme Botschaften erlebt: abwehren, beiseiteschieben, verleugnen und verdrängen.

Auch das, bitte, darf jeder für sich selbst so entscheiden. Nur in diesem Fall betrifft es nicht sie selbst. Es betrifft Tiere, die nicht in der Lage sind, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Und die kaum klagen. Denn als Raubtiere wissen auch unsere Stubentiger: Wer Schwäche zeigt, hat bereits verloren.

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1 Kommentar

  1. Toller Beitrag! Vor allem der letzte Absatz regt Katzenbesitzer hoffentlich dazu an, das Thema nicht egoistisch beiseite zu schieben – die Katzen sind uns in der Hinsicht nämlich ausgeliefert und auf unser Handeln angewiesen!
    Danke!

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